Freiberuflichen Hebammen droht das Berufsverbot – Pat Christ

Es geht um mehr als die Haft­pflicht Dilem­ma der Hebam­men verweist auf die Tragik des ökono­mi­sier­ten Medizinsystem.

Wie fatal es sein kann, wenn es keiner­lei Wett­be­werb gibt, zeigt sich dieser Tage am Beispiel der Hebam­men. Mitglie­der des Bundes frei­be­ruf­li­cher Hebam­men Deutsch­land (BfHD) können nur bei der Nürn­ber­ger Versi­che­rung eine Haft­pflicht­ver­si­che­rung abschlie­ßen. Niemand sonst bietet dies noch an. Aber auch die Nürn­ber­ger Versi­che­rung will im Juli 2015 ausstei­gen. „Das bedeu­tet Berufs­ver­bot für frei­be­ruf­li­che Hebam­men“, kommen­tiert BfHD-Vorsit­zen­de Ruth Pinno.

Geburts­kli­ni­ken wieder­um klagen über zuneh­men­den Wett­be­werbs­druck. Was bereits vor 20 Jahren dazu führte, dass immer mehr geburts­me­di­zi­ni­sche Abtei­lun­gen schlie­ßen muss­ten. Zwischen 1994 und 2008 machte der Gesund­heits­be­richt­erstat­tung des Bundes zufol­ge fast jede vierte statio­nä­re geburts­me­di­zi­ni­sche Einheit dicht. Auch waren nur augen­heil­kund­li­che Abtei­lun­gen stär­ker vom Betten­ab­bau betrof­fen. Der betrug in der Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe laut der Kran­ken­h­aus­sta­tis­tik von 1991 bis 2007 fast 43 Prozent. Gleich­zei­tig verkürz­te sich die durch­schnitt­li­che Aufent­halts­dau­er der Pati­en­tin­nen in Frau­en­kli­ni­ken stark.

Das bringt Klini­ken in ein ökono­mi­sches Dilem­ma – das, so ein sich verschär­fen­der Verdacht, auf dem Rücken der Schwan­ge­ren ausge­tra­gen wird. Immer häufi­ger werden zum Beispiel (vermeint­li­che) Kompli­ka­tio­nen bei Wehen und Entbin­dung diagnos­ti­ziert. Jedes dritte deut­sche Kind kommt inzwi­schen per Kaiser­schnitt auf die Welt.
Dage­gen wand­ten sich bereits 2012 mehre­re Orga­ni­sa­tio­nen und Einzel­per­so­nen bei einer „Kaiser­schnitt-Kampa­gne“ des deutsch­land­wei­ten „Arbeits­krei­ses Frau­en­ge­sund­heit in Medi­zin, Psycho­the­ra­pie und Gesell­schaft“. Auch wehren sich immer mehr Schwan­ge­re im Vorfeld einer Entbin­dung gegen vorschnel­le Kaiser­schnit­te. Zu ihnen gehört Clau­dia Pflug. „Ich hatte eine klare Wunsch­lis­te für das Kran­ken­haus dabei“, erzählt sie. Dazu gehör­ten: „Keine Herz­ton­dau­er­über­wa­chung, kein Kaiser­schnitt, keine vorzei­ti­ge Durch­tren­nung der Nabel­schnur, keine Hormon- und Medi­ka­men­ten­ga­be.“ Ihre Hebam­me habe das „cool“ gefunden.

Auffal­lend­vie­le „Kompli­ka­tio­nen“
Für ein star­kes Immun­sys­tem ist die Besie­de­lung des Darms mit Bakte­ri­en nach der Geburt erfor­der­lich. Die Viel­falt der Darm­flo­ra ist nach Kaiser­schnitt aller­dings deut­lich gerin­ger als bei einer natür­li­chen Geburt. Das ist bekannt. Dennoch wird geschnit­ten – unter ande­rem wegen der erwähn­ten Kompli­ka­tio­nen. Allein zwischen 2001 und 2003 hatte sich die „Kompli­ka­ti­ons­dia­gno­se“ fast vervier­facht. „Es stellt sich die Frage, ob dies eine realis­ti­sche Abbil­dung der Morbi­di­täts­struk­tur der Gebur­ten zeigt“, heißt es im Kran­ken­haus­re­port von 2005. Dass Gebur­ten immer „patho­lo­gi­scher“ werden, sei wohl eher durch verän­der­te Abrech­nungs­be­din­gun­gen verursacht.
Nicht alle Schwan­ge­ren bevor­zu­gen die hohen Stan­dards des tech­ni­sier­ten Kreiß­saals. „Ich will allein entschei­den, ob mein zwei­tes Kind im Geburts­haus, einer Klinik oder zu Hause zur Welt kommt“, sagt die Würz­bur­ger Trage­be­ra­te­rin Isabel Reis, Mutter eines einein­halb­jäh­ri­gen Kindes. Diese Entschei­dung sei jedoch nicht mehr möglich, wenn es mangels keiner oder viel zu teurer Berufs­haft­pflicht­ver­si­che­run­gen keine frei­be­ruf­li­chen Hebam­men mehr gibt. Dann sei außer­dem niemand mehr für eine alter­na­ti­ve Vor- und Nach­sor­ge da.

Wie lange sättigt der Brei am Abend? Wie gehe ich mit Zahn­schmer­zen um? Was, wenn mein Kind die ganze Nacht schreit? Viele Mütter sind dank­bar, wenn sie nach der Geburt von einer Hebam­me beglei­tet werden.

Junge Mütter müssen inzwi­schen jedoch lange nach einer Hebam­me suchen. „In der letz­ten Zeit häufen sich bei uns Aussa­gen, dass es schwie­rig sei, eine Hebam­me für die Nach­sor­ge zu finden“, bestä­tigt Anna Elisa­beth Thie­ser, Fach­re­fe­ren­tin für Schwan­ger­schafts­be­ra­tung aus Würz­burg. Nach Kennt­nis­sen der von ihr gelei­te­ten Bera­tungs­stel­le für Schwan­ge­re gehen die Zahlen der Hebam­men­schü­le­rin­nen zurück und sinkt die Zahl der selbst­stän­di­gen Hebam­men: „Hier könnte es mittel­fris­tig zu Versor­gungs­män­geln kommen.“

Keine tech­ni­schen Apparate
In den letz­ten Schwan­ger­schafts­mo­na­ten gehen Mütter meist alle vier­zehn Tage zur Vorsor­ge – in der Regel bei einer Gynä­ko­lo­gin oder einem Gynä­ko­lo­gen. So sehen es die Mutter­schafts­richt­li­ni­en vor. „Diese Unter­su­chun­gen bezie­hen sich zum Teil auf die Gesund­heit der Frau, aber in hohem Maße auf die Eigen­schaf­ten des unge­bo­re­nen Kindes“, so Hild­burg Wege­ner vom „Netz­werk gegen Selek­ti­on durch Präna­tal­dia­gnos­tik“. Es komme viel Tech­nik zum Einsatz. Ganz anders die Vorsor­ge bei Hebam­men: „Die kümmern sich in erster Linie um die Mutter und benut­zen keine tech­ni­schen Apparate.“


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