Die Wettbewerbs-Logik dort überwinden, wo sie herkommt – in der Biologie – Michael Beleites

Thesen zum Buch „Umwelt­re­so­nanz – Grund­zü­ge einer orga­nis­mi­schen Biolo­gie“ – Micha­el Beleites

Warum gibt es in vielen Kran­ken­häu­sern so minder­wer­ti­ges, unge­sun­des Essen, obwohl die Medi­zi­ner über die Bedeu­tung der Ernäh­rung bei Heilungs­pro­zes­sen gut unter­rich­tet sind? Warum über­dün­gen viele Bauern ihre Felder mit synthe­ti­schen Dünge­mit­teln, obwohl sie genau wissen, dass dadurch die ange­bau­ten Pflan­zen anfäl­li­ger gegen Krank­hei­ten und Schäd­lin­ge werden und die Quali­tät ihrer Produk­te darun­ter leidet? Warum fahren viele Menschen täglich über 100 Kilo­me­ter mit dem Auto zur Arbeit, obwohl sie das weder wollen, noch gutheißen?

Sie alle und wir alle sind Teil eines Systems, das sich auf die Idee einer Regu­lie­rung durch Wett­be­werb stützt. In der Tat hat der allge­gen­wär­ti­ge Wett­be­werb eine regu­lie­ren­de Wirkung. Aber die Regu­la­ti­on des perma­nen­ten Wett­ren­nens ist nicht stabi­li­sie­rend, sondern desta­bi­li­sie­rend. Sie führt zu besin­nungs­lo­sem Wachs­tum und macht uns abhän­gig von diesem Wachs­tum. Die Kran­ken­häu­ser und Klini­ken hat man in einen Wett­be­werb um „Wirt­schaft­lich­keit“ hinein­ge­stellt. Daher müssen ihre Verwal­tungs­lei­ter darauf achten, dass sie das Essen beim billigs­ten Anbie­ter bestel­len. Auch die Land­wir­te hat man in einen harten Verdrän­gungs­wett­be­werb hinein­ge­stellt. Wer als Betrieb über­le­ben will, muss viel verkau­fen. Da nach Gewicht bezahlt wird, kommt es darauf an, in kürzes­ter Zeit höchs­te Masse-Erträ­ge zu erzie­len. Ob das Getrei­de gesund ist, das Gemüse halt­bar, ob das Fleisch schmeckt und ob der Humus­ge­halt und das Boden­le­ben der eige­nen Äcker für die Nach­kom­men erhal­ten werden, spielt dabei keine Rolle. Nur wer mehr produ­ziert, als eine ökolo­gisch nach­hal­ti­ge Land­be­wirt­schaf­tung hergibt, kann – außer­halb von Nischen – in diesem Wett­be­werb mithal­ten. Und wo die Alter­na­ti­ve steht, eine wohn­ort­fer­ne Arbeit anzu­neh­men oder die Heimat zu verlas­sen bzw. sozial abzu­stei­gen, entschei­den sich auch viele umwelt­be­wuss­te Menschen für das dauern­de Auto­fah­ren. Wer nicht mitrennt in diesem Wett­ren­nen, landet allzu schnell im Abseits.

Es bringt also nichts, dieje­ni­gen zu kriti­sie­ren, die sich system­kon­form verhal­ten – wenn man nicht das System selber zur Debat­te stellt. Woher kommt eigent­lich dieses Wett­be­werbs-System? Es hat seine Wurzeln in der darwi­nis­ti­schen Lehre eines „Kamp­fes ums Dasein“, der Selek­ti­ons­theo­rie. Diese wurde in die Ökono­mie über­tra­gen und ist von dort aus als Wett­be­werbs­lo­gik in alle Gesell­schafts­be­rei­che einge­drun­gen. Da ich aus dem biolo­gi­schen Bereich komme, habe ich die Selek­ti­ons­leh­re dort einer kriti­schen Analy­se unter­wor­fen, wo sie herkommt – in der Biolo­gie. Und ich bin zu dem Befund gekom­men, dass die Selek­ti­ons­theo­rie nicht nur in ihrer Über­ta­gung auf den Menschen proble­ma­tisch ist, sondern auch für die Biolo­gie keine Gültig­keit hat.

Unbe­strit­ten finden in der Natur Kämpfe statt; der Kampf gehört zur Natur. Dass aber diese Kämpfe die Gestalt­mus­ter der Blau­mei­se oder die Verhal­tens­mus­ter der Bienen heraus­züch­ten, das ist in keiner Weise beleg­bar. Darwins Denken war in weiten Teilen vom früh­ka­pi­ta­lis­ti­schen Konkur­renz­ge­sche­hen geprägt; er hat dieses mit seinen Beob­ach­tun­gen aus der Haus­tier­züch­tung vermischt und auf die Natur über­tra­gen. Und die Darwi­nis­ten haben dann einen allge­gen­wär­ti­gen „Kampf ums Dasein“ als das entschei­den­de und Arten bilden­de Natur­ge­setz ausge­ru­fen und auf die mensch­li­che Gesell­schaft zurück­ge­spie­gelt. Dieser Teil der Darwin’schen Lehre lässt sich gründ­lich wider­le­gen. Und zwar anhand von Tatsa­chen, die man bei Wild­for­men in freier Natur findet; und nicht bei Haus­tie­ren in Gefan­gen­schaft, wie es Darwin tat. Zwei­fel an der Selek­ti­ons­theo­rie hatten schon viele. Aber eine schlüs­si­ge Alter­na­ti­ve gab es bisher nicht. Die Lösung, die meine biolo­gisch-ökolo­gi­sche Analy­se aufzeigt, liegt im Zusam­men­hang zwischen gene­ti­scher Varia­ti­on und ökolo­gi­schem Milieu. Das Ergeb­nis meiner Analy­se stelle ich als Umwelt­re­so­nanz-Hypo­the­se vor: Nicht Kampf und Konkur­renz bestim­men die Entwick­lung der Arten, sondern der Zugang zu natür­li­chen Umwelt­in­for­ma­tio­nen. Der reduk­tio­nis­ti­schen Biolo­gie wird eine orga­nis­mi­sche Biolo­gie gegen­über gestellt, die die Funk­tio­nen der Orga­nis­men auf System­ei­gen­schaf­ten der Arten und Ökosys­te­me zurück­führt, deren Organe sie sind. 

Entschei­dend ist die neue Sicht des gene­tisch-ökolo­gi­schen Zusam­men­hangs: Aufbau­end auf Unter­su­chun­gen des Orni­tho­lo­gen Otto Klein­schmidt (1870–1954) wird der Zusam­men­hang zwischen der gene­ti­schen Varia­ti­on von Popu­la­ti­on und ihrem ökolo­gi­schen Verhal­ten unter­sucht. Es zeigt sich, dass der Zusam­men­halt (die gene­ti­sche Kohä­si­on) und das Ausein­an­der­lau­fen (die gene­ti­sche Diver­genz) der Varia­ti­ons­be­rei­che von Popu­la­tio­nen nicht aus Konkur­renz und „Zucht­wahl“ resul­tie­ren, sondern aus System­ei­gen­schaf­ten der Arten und Popu­la­tio­nen selbst. Sie sind milieu­ab­hän­gi­ge, aber selek­ti­ons­un­ab­hän­gi­ge Phäno­me­ne. Entschei­dend ist nicht ein „Kampf ums Dasein“, sondern der Zugang zu natür­li­chen Umwelt­in­for­ma­tio­nen, die Umwelt­re­so­nanz. Das wich­tigs­te Ergeb­nis: Die Selek­ti­ons­leh­re ist im Blick auf Wild­for­men in freier Natur wider­legt. Ein „Kampf ums Dasein“ kann somit nicht länger als gestal­ten­der Faktor der Artbil­dung ange­se­hen werden. 

Die Konse­quen­zen des über­fäl­li­gen Abschieds vom Selek­ti­ons­den­ken sind weit­rei­chend und befrei­end! Wenn man das Selek­ti­ons­den­ken hinter sich gelas­sen hat, lässt sich beispiels­wei­se wieder ratio­nal über die biolo­gi­sche Reali­tät der natür­li­chen Rassen­viel­falt des Menschen spre­chen. Wenn man zwischen Zucht­ras­sen und Natur­ras­sen unter­schei­det, lässt sich der Rasse­be­griff wieder in den norma­len Sprach­schatz aufneh­men. Wenn das Verlan­gen nach „Ausmer­zung“ der Unan­ge­pass­ten vom Tisch ist, lässt sich auch etwas für bedroh­te Rassen tun.

Die Würdi­gung der „freien Natur“ als eine reale ökolo­gi­sche Kate­go­rie, als den Ort bzw. Umstand für aufbau­en­de und rege­ne­ra­ti­ve Lebens­pro­zes­se zeigt ein weite­res: Unsere Verant­wor­tung für die Bewah­rung der mensch­li­chen Art ist keine züch­te­ri­sche Verant­wor­tung, sondern eine Verant­wor­tung für artge­mä­ße, nämlich menschen­ge­mä­ße Lebens­ver­hält­nis­se. Jenseits des Glau­bens­kamp­fes zwischen Darwi­nis­mus und Krea­tio­nis­mus ist eine neue biolo­gisch-ökolo­gi­sche Perspek­ti­ve herangereift.

Ihr Fazit lautet: Eine vom Selek­ti­ons­den­ken befrei­te Biolo­gie entzieht der Wett­be­werbs-Logik unse­rer Zeit das Funda­ment. Im Ideal­fall ist eine Gesell­schaft nämlich wie ein Orga­nis­mus verfasst, dessen „Organe“ zum gegen­sei­ti­gen Vorteil und zum Wohle des Ganzen zusam­men­ar­bei­ten – und nicht danach trach­ten, sich gegen­sei­tig zu verdrängen. 

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